Das unfaire Leben…
Es ist nicht leicht ein Hund zu sein. Das Leben ist so unfair. Die Gesellschaft erwartet und fordert und wer das nicht erfüllt, der wird aussortiert. Vorsicht: Der Artikel könnte Spuren von Ironie und Zynismus enthalten.
Was ein Hund können muss
Er muss mit allem und jedem verträglich sein. Egal, ob nun ein kleiner Hund von einem großen Hund überwalzt wird oder ein kleiner Hund einem großen Hund in der Lefze hängt. Das müssen beide abkönnen und schließlich sollen sie doch miteinander spielen. Sie müssen jeden und alles mögen. Fühlt sich der Kleine nun in der Defensive und setzt sich zur Wehr, ist er sofort als unerzogener Giftzwerg abgestempelt und total unsozial. Setzt sich der Große gegenüber dem Kleinen zur Wehr, ist er der große gefährliche Hund, der mindestens Maulkorbpflicht bekommen muss und am besten gleich als untherapierbar eingeschläfert gehört. Es wird nicht hinterfragt, ob der Kleine sich vielleicht bei der Walzaktion verletzt hat oder verängstigt ist, es wird auch nicht hinterfragt, ob der Große schon zigmal von Kleinen gebissen und attackiert wurde und nun einfach mal die Schnauze voll hat. Nein! Derjenige, der es nicht erträgt, ist der Schuldige. Immer!
Ein Hund muss sich von jedem überall und jederzeit anfassen lassen. Egal, ob er grade schläft, frisst, Angst hat, erschöpft ist, Schmerzen hat oder einfach seine Ruhe haben will. Nein, der Hund hat gefälligst dankbar zu sein, dass er gestreichelt wird. Voll auf den Kopf, von vorne mit drüberbeugen. Am besten noch schnell draufzukommen. Zuckt er zurück oder zeigt womöglich Zähne, dann ist das ganz fatal. Am schlimmsten ist aber, wenn sich der Hund zur Wehr setzt und schnappt. Es muss nicht mal ein Abwehrbeißen sein, einfach nur die Tatsache, dass die Zähne in Richtung Mensch gehen. Schon ist der Hund der allerböseste Hund der Welt und gehört mit Maulkorb in die hintereste Ecke des Tierheims oder eingeschläfert. Er ist schließlich unsozial und nicht therapierbar. Wer einmal beißt, tut das immer wieder! Da ist die Vergangenheit egal. Wie? Der Hund hat schlechte Erfahrungen gemacht? Ein Hund merkt sich das doch nicht! Was? Der Hund hat Angst vor Menschen? Ja und? Ich meine es doch gut mit ihm, der soll sich freuen, dass er gestreichelt und getätschelt wird.
Der Hund muss überallhin mit. Natürlich ist es schön, gemeinsame Zeit mit seinem vierbeinigen Freund zu verbringen, aber um jeden Preis? Was, wenn es dem Hund lieber ist, daheim in seiner gewohnten Umgebung zu sein, als über einen Jahrmarkt zu laufen und ständig getreten zu werden? Ach, dann lässt man seinen Hund ja zu viel allein. So ein Hund muss sich doch freuen, wenn er mitgenommen wird. Natürlich hab ich meinen Hund auch schon mit ins Restaurant genommen oder sogar auf eine Hochzeit. Aber das waren die Hochzeiten meiner Brüder und einmal eine von einer guten Freundin, da war Rocky sogar mit eingeladen. Nicht jeder Hund kann das aber ab. Shiva würde ich niemals so einem Stress aussetzen, da sie damit nicht umgehen kann.
Was vom Hundehalter erwartet wird
Wir Hundehalter müssen auf jeden Fall hellseherische Fähigkeiten besitzen.
Schließlich müssen wir wissen, wann und wo der Radfahrer den Weg entlanggeschossen kommt. Der Hund muss dann natürlich gesichert und ordnungsgemäß vom Weg geräumt sein. Es kann ja nicht sein, dass der sportelnde Mensch einen Hauch abbremsen muss oder einen Schlenker fahren. Nicht auszudenken, wenn er von der Ideallinie abkommt. Das würde den guten Schnitt auf Jahre ruinieren. Das kann ich nicht verantworten. Ein Danke bekommt man in den seltensten Fällen, aber wenn dann bin ich immer sehr freudig überrascht.
Jogger sind da ähnlich. Von weitem schallt einem der Ruf entgegen: „Nehmen Sie den Hund an die Leine!“ Kein bitte, kein Danke bzw. sehr selten. So selten, dass ich hinterher immer total glücklich bin. Ein netter Mensch hat sich bei mir bedankt. Uiiii… Meist wird man noch angeblafft, wenn man mit dem Hund im Fuß stehen bleibt: „Sie hätten auch weiterlaufen können, der Hund muss nur gesichert sein“. Meine Antwort: „Tut mir leid, mein Hund hat Angst vor komischen Menschen, daher muss ich das üben“, kam in den seltensten Fällen gut an… Warum nur?
Mütter mit Kind. Versteht mich nicht falsch. Kinder sind okay, oft auch niedlich. Aber die Anhängsel sind anstrengend. Entweder reißen sie den Nachwuchs beinahe panisch auf den Arm und gucken sich nach einer Fluchtmöglichkeit um, wenn ich mit meinem Hund an der Leine komme. Dass sie nicht auf den Baum kraxeln ist auch alles. Oder Variante 2 wäre, dass von weitem gerufen wird: „Schau mal ein Wauwau!“ Das Kind fängt sofort an zu „bellen“ und möchte Shiva knuddeln. Das sind die Momente, in denen ich mich abwende und querfeldein flüchte. Shiva hasst es, wenn Kinder bellend auf sie zugerannt kommen und sie knuddeln wollen. Sie mag es nicht und hat Angst davor. Wir beide treten also regelmäßig die Flucht an oder wenn keine Möglichkeit gegeben ist schrei ich von weitem: „Vorsicht! Mein Hund hat Flöhe!“. Klappt meistens, schließlich soll die Brut ja nicht angesteckt werden. Würde ich sagen, dass sie vor Kindern Angst hat und evtl. beißen könnte, werde ich mich Vorwürfen überhäuft, warum ich mit einem beißenden und offenbar gefährlichen Hund auf öffentlichen Wegen unterwegs bin und dieser Hund nicht daheim im Hochsicherheitstrakt sitzt. Das erspare ich mir lieber.
Was ein Hund wirklich ist
Ein Hund ist ein Lebewesen mit Gefühlen und Emotionen, guten wie schlechten Erfahrungen und einer Vergangenheit. Stammt der Hund aus einer liebevollen Umgebung, ist er sicher alltagstauglich und kann die meisten Dinge aufgrund einer guten Prägephase und einem starken Charakter ab. Stammt der Hund aus einer gefährlichen Umgebung, musste ums Leben kämpfen, wurde geschlagen, getreten, gebissen, ist halb verhungert und hat in seinem kurzen Welpenleben nur einen Verschlag kennengelernt, den er sich mit zig anderen – stärkeren – Hunden teilen musste, dann ist es unwahrscheinlich, dass er mit einer positiven Grundeinstellung durchs Leben schreitet. Er wird sein Leben lang misstrauisch sein. Natürlich legt er vieles ab und wird auch sicherer, aber es muss nur eine böse Erfahrung dazu kommen und man steht am Anfang.
Shiva ist ein Hund aus der zweiten Vergangenheit. Sie hat einen dicken fetten Koffer voller böser Erfahrungen und den mussten wir erst gemeinsam auspacken und dann mit schönen Erfahrungen gemeinsam füllen. Einen kleinen Rest am Boden haben wir noch drin liegen. Ich glaube nicht, dass wir den ausgepackt bekommen, aber wir sind auf einem guten Weg. Wenn es beim kleinen Rest bleibt, können wir beide damit leben. Sie ist ein lebensfroher und lebensbejahender Hund, der mittlerweile in seiner kleinen Welt gefestigt ist. Unerwartetes wirft uns nicht mehr ganz zurück, aber es ist immer ein Schrittchen Neuanfang, nur eben vielleicht nicht mehr von der Nulllinie, sondern bei 40%. Eines Tages wird sie vielleicht zurück denken und sich sagen: Wow! Was für ne Reise!
Ich jedenfalls werde sie niemals aufgeben und immer für sie eintreten. Mein Wuschelmädchen ist vielleicht nicht der Hund, den ich mir gewünscht habe, aber genau der, den ich gebraucht habe.
Flauschige Grüße
Sandra
12 Comments
annemariewagner
Super geschrieben und so Wahr👍🏻
Sabrina mit Queen & Püppi
Ein super Beitrag, den ich zu 100% so unterschreiben kann. Queen ist ein Hund mit einer ganz schweren Welpenzeit. Püppi hatte eine tolle Welpenzeit mit viel Erfahrungen und tollen Erlebnissen. Die beiden könnten unterschiedlicher nicht sein.
Probleme in der Prägephase kommen immer mal wieder hoch. Aber ich bin mir sicher, dass ihr das im Griff habt 🙂
Bei dem Absatz mit den Kindern musste ich sehr schmunzeln 🙂 Kenn ich nur zu gut 🙂
ShivaWuschl
Dankeschön. Ich hatte schon länger so was in der Art im Kopf, aber das ganze in Worte zu fassen ist schwer.
Ich wusste gar nicht, das Queen auch so eine doofe Vergangenheit hatte. Knuddel sie mal vorsichtig von mir.
Flauschige Grüße
Sandra & Shiva
Sabrina mit Queen & Püppi
Queen kam erst mit vier Monaten zu mir. Mit 7 Wochen kam sie schon von der Mutter weg und verbrachte die folgenden Wochen mit ihrem Bruder in einem gefliesten dunkeln Raum. Nur zwei Mal am Tag kamen sie für ungefähr eine Stunde raus. Sie haben immer die gleiche Person gesehen und kamen von dem verlassenen Hof nicht runter. Ihr Bruder wurde nach kurzer Zeit nach Amerika verkauftn. Dann war sie noch einige Wochen alleine bis sie zu mir kam. Alle Menschen, alle Hunde und alles andere war gruselig und beängstigend. Du kannst es dir ja sicher vorstellen…
Sabrina mit Queen & Püppi
Sie hatte kein Decke sondern nur ein altes Liegebrett. Bis Püppi einzog hat sie noch nicht mal mehr aus einem Napf gefressen. Sie bekam das Futter dort immer auf den Boden gelegt…
ShivaWuschl
Arme kleine Queen. Da möchte man sie grad nochmal knuddeln. Auch so ein beschissener Start in ein Hundeleben. Kein Wunder, dass sie so skeptisch ist.
Sabrina mit Queen & Püppi
Mich wundert das auch nicht. Obwohl es schon sooo viel besser geworden ist und seit Püppi da ist noch mehr 🙂
Hundebengel Charly
Danke für deinen tollen Artikel. Und ich stimme dir zu 100 % zu. Gerade Mütter mit ihren Kindern rauben mir auch oft den letzten Nerv. Charly mag es einfach nicht, wenn ihn jemand plötzlich am Kopf streichelt. Obwohl er eine tolle Welpenzeit hatte, mag er es einfach nicht, von fremden Leuten angestascht zu werden. Deine Worte sind mir ein kleiner Trost, dass es nicht nur uns so geht.
Liebe Grüße
Sonja und Charly
ShivaWuschl
Hallo ihr zwei,
ja, ich bin nun voll von mir ausgegangen. Natürlich können auch Hunde mit der perfekten Vergangenheit einfach vom Charakter so sein, dass sie es nicht ausstehen können. Es ist auch so ne Unsitte, dass jedem Hund immer auf den Kopf gepatscht werden muss. Ich würde es auch nicht mögen, wenn mich ein wildfremder Mensch auf den Kopf tatscht. Dem würde ich nicht nur nette Dinge sagen.
Lass den Kopf nicht hängen. Dein Charly ist ein toller Hund. Ihr beide findet euren Weg.
Flauschige Grüße
Sandra & Shiva
Dieter
Sehr gut geschrieben und kann ich nur bestätigen.
The Pell-Mell Pack
Toll geschrieben. Das kann ich mit Enki und Luna auch sofort unterschreiben! Letztens habe ich mit Luna in der Fußgängerzone trainiert und eine Mutter quieckte zusammen mit ihrer Tochter „Wie niedlich!“ Ich warnte sie Luna nicht zu nahe zu kommen, sie würde beißen. Die Mutter meinte “ Ach was, die doch nicht. Die sieht doch so süß aus.“ und schob ihre Tochter in Lunas Richtung. Luna schnappte genau in dem Moment, als ich sie am Geschirr hochhob und mich mit ihr weg drehte. Daher erwischte sie glücklicherweise nur Luft. Die Mutter: “ Die Töle ist ja gefährlich! Meine Tochter wollte doch nur knuddeln!“
Mir fehlten einfach die Worte.
ShivaWuschl
Oh ja… und wehe Luna hätte sie erwischt! Dann hättest du mit allem rechnen müssen. Bis hin zur Anzeige und Wesenstest. So kommt ein ganz normaler – unsicherer – Hund an den Pranger, nur weil die Menschen meinen, sie wissen es besser und der Hund MUSS es ertragen. Zum Glück hast du rechtzeitig reagiert.