Im Regenbogenland
Den verzweifelten Schrei „Jenny! Nein, bitte nicht!“ noch in den Ohren, trottete Jenny über die Regenbogenbrücke. Sie sah zurück. Ihr Frauchen drückte das Gesicht in ihr Fell, aber sie war doch auf der Brücke… Jenny sah zur Seite und nach vorne. Eine Weile überlegte sie und schließlich ging sie weiter. Da vorne roch es gut und sie hörte fröhliches Bellen und Kläffen. Am Fuß des Regenbogens setzte sich Jenny erstmal hin und beobachtete die spielenden Hunde. Sie wunderte sich. Es gab keinen Streit, keine Geknurre oder sogar Beißereien. Nein, alle waren glücklich und zufrieden. Sie spielten fröhlich miteinander und als sie Jenny bemerkten, kam gleich einer auf sie zu. „Hallo! Wer bist denn du?“ fragte ein wuscheliger Hund. Jenny kauerte sich schüchtern zusammen und sagte leise: „Ich bin Jenny.“ Der wuschelige Hund stellte sich mit „Bimbo“ vor. „Willst du mitspielen?“ wollte Bimbo Jenny etwas aufmuntern. „Wo bin ich denn hier? Wo ist mein Frauchen? Sie hat geweint, aber ich konnte nicht zu ihr zurück. Ich konnte nur zu euch laufen. Was ist denn passiert?“ „Du bist deinem Frauchen voraus gegangen. Sie kommt später nach. Sie hat nur geweint, weil ihr beide jetzt eine Weile getrennt seid.“ „Bin ich gestorben?“ fragte Jenny ängstlich. „Ja, aber nicht richtig. Du hast nur den Ort gewechselt. Hier hast du nie Schmerzen oder Kummer. Hier hast du nur Freunde und dir geht es immer gut.“ „Aber mein Frauchen fehlt mir. Warum konnte sie mir nicht folgen?“ „Sie muss noch auf der Erde bleiben. Sie kommt später. Komm jetzt. Spielen wir Fangen.“ „Ich kann nicht rennen. Ich bin verletzt und das tut so weh, wenn ich renne.“ „Komm mal mit, Jenny.“ Bimbo drehte sich um und führte Jenny über die duftende Wiese. Sie sah sich neugierig um. „Wo sind denn hier die alten Hunde? Gibt es hier keine verletzten Hunde oder alte? Die sind ja alle jung und gesund.“ „Das ist hier so. Du bist auch gesund und jung. Du kannst genauso rennen, wie alle anderen hier.“ Bimbo blieb an einem klaren See stehen. Jenny sah hinein und sah, dass Bimbo recht hatte. Sie war wieder jung. Die Verletzungen an der Seite waren weg, sie hatte keine Narben oder Wunden. „Wie kann das sein? Ich bin doch schon 11 Jahre alt und war doch so schwer verletzt. Aber jetzt ist alles weg.“ Bimbo lachte: „So ging es mir auch. Ich konnte es nicht glauben. Hier ist es einfach toll. Man fühlt sich wieder superjung und ist immer fröhlich. Du musst nur loslassen. Lass dein altes Leben hinter dir. Hier hast du Freunde und jeder mag dich. Nie wird dir hier jemand weh tun.“ „Loslassen? Wie meinst du das?“ fragte Jenny verwundert. „Warte es ab. Komm, jetzt spielen wir. Fang mich!“ Bimbo legte einen Blitzstart hin. Jenny fing vorsichtig zu traben an, aber schon nach kurzer Zeit merkte sie, dass sie wieder springen, rennen und spielen konnte. Sie verbrachte einige schöne Stunden mit Bimbo, mal war sie schneller, mal Bimbo. Jenny jauchzte vor Vergnügen.
Es kamen immer wieder Neuankömmlinge, die von verschiedenen Hunden begrüßt und zum Spiel aufgefordert wurden. Einige konnten es genauso wenig wie Jenny glauben, dass sie wieder gesund waren. Aber nach kurzer Zeit spielten alle begeistert miteinander. Jenny lag grade mit Bimbo um Gras und nagte an einer Kaustange rum, als plötzlich ein Hund aufjaulte und davon rannte. Erschrocken fuhr Jenny hoch. „Was hat er denn? Warum rennt er weg?“ Jenny folgte ihm schnell. Bimbo konnte fast nicht mithalten. „Laß ihn laufen“, keuchte er. „Er wird abgeholt.“ Jenny blieb wie angewurzelt stehen. Sie sah wie der Hund sich einem Menschen in die Arme warf. Der Mensch umarmte ihn glücklich und küßte ihn begeistert. Der Hund war ganz außer sich vor Freude. Die beiden gingen über einen plötzlich erscheinenden Regenbogen in eine andere Ebene. „Wo gehen die hin?“ „Da oben wohnen die Herrchen und Frauchen mit ihren Hunden. Da kommst du später auch mal mit deinem Frauchen hin. Sie holt dich dann ab und ihr beide zieht in die obere Ebene.“ Jenny sah nachdenklich die langsam verschwindende Regenbogenbrücke an. Sie folgte Bimbo ziemlich zögernd und langsam. In dieser Nacht besuchte sie ihr Frauchen. Sie folgte dem Ruf, da ihr Frauchen jede Nacht nach ihr rief, war es nicht schwierig, sich mit ihr zu treffen. Die beiden verbrachten eine herrlich verschmuste Nacht miteinander. Am nächsten Morgen erwartete Bimbo sie ziemlich ernst. „Jenny, du darfst dem Ruf nicht folgen. Ich weiß, wo du warst. Dein Frauchen wird noch länger nach dir rufen, wenn du dem Ruf folgst. Entweder gehst du und sagst ihr, dass du nicht mehr kommst oder du gehst gar nicht mehr hin. Sie kann von sich aus nicht loslassen. Sie vermisst dich so sehr. Sag ihr, dass es okay ist. Dann ruft sie dich nicht mehr.“ Jenny ließ den Kopf hängen. Sie wollte doch ihr Frauchen bei sich haben und nicht, dass ihr Frauchen sie vergaß. „Bimbo, ich will aber, dass sie zu mir kommt und nicht, dass sie mich vergisst. Kannst du das nicht verstehen? Wie kannst du dein Frauchen vergessen?“ „Sie wird dich nicht vergessen. Mein Frauchen hat mich nicht vergessen und ich habe sie nicht vergessen. Wir müssen nur loslassen und geduldig warten. Sag ihr, dass es okay ist. Dann kannst du hier glücklich leben und sie auf der Erde. Sie kommt ganz sicher zu dir. Du musst nur Geduld haben.“ Jenny schniefte und nickte dann. „Bimbo! Du glaubst es nicht. Frauchen hat einen neuen Hund! Einen Welpen. Er heißt Rocky. Sie knuddelt ihn ständig und er begleitet sie überall hin. Sie hat mich einfach ausgetauscht! Wie kann sie das machen?“ Bimbo sah Jenny ernst an. „Jenny, sie hat dich nicht ausgetauscht. Du fehlst ihr nur so sehr, dass sie es nicht aushält. Rocky ist auch kein Ersatz, er ist dein Nachfolger. Belausche nochmal ihre Träume. Sie kann dich nie vergessen.“ Jenny war zwar noch skeptisch, aber willigte etwas getröstet in ein gemeinsames Spiel ein. Am Nachmittag sprang sie plötzlich auf. „Frauchen ruft nach mir! Sie hat mich nicht vergessen. Rocky hat sie gebissen und sie weint, weil ich das nie getan habe.“ Jenny sank etwas verwirrt ins Gras. „Was machen wir jetzt? Soll ich sie besuchen?“ Bimbo schaute nachdenklich drein. „Ich weiß es nicht. Gib ihr Zeit.“ Er sprang auf und rannte davon. „Los! Fang mich!“ Jenny flitzte hinterher und bald waren sie wieder in ihr ausgelassenes Spiel vertieft. Jenny gewöhnte sich langsam an dieses unbeschwerte Leben im Regenbogenland. Ihr Frauchen rief nur noch selten nach ihr und Jenny beobachtete den jungen Nachfolger und ihr Frauchen oft. In Gedanken waren sie beide ständig zusammen, aber der tiefe Trennungsschmerz verblasste langsam. Jenny war auch nicht mehr eifersüchtig auf Rocky, sondern versuchte ihm zu helfen. Er sollte ein ganz toller Nachfolger werden und Jenny ermahnte ihn oft, wenn er zu grob war oder was zerstörte. Ihr größtes Ziel war nun, dass ihr Frauchen wieder glücklich leben konnte. Jenny fühlte sich im Regenbogenland so wohl, dass die Schmerzen und die grausame Erinnerung an ihren gewaltsamen Tod in den Hintergrund rückten. Hier war sie so glücklich, wie in den Armen ihres Frauchens. Diese hatte sie keineswegs vergessen und träumte nach wie vor jede Nacht von Jenny, aber die tiefe Verzweiflung verschwand und jetzt durchlebten sie beide im Traum ihre schönsten Erlebnisse noch einmal.
Jenny war nun schon lange im Regenbogenland. Mehrere Jahre schon. Bimbo war ihr bester Freund und sie hatte noch einige gute Bekannte. Ein paar waren abgeholt worden, aber Jenny staunte, wie viele Neue täglich ankamen. Die Neuankömmlinge waren verstört und verwirrt. Sie wollten zurück zu ihren Frauchen und Herrchen, aber Jenny und Bimbo erklärten ihnen alles. Durch ihr liebevolles Wesen war Jenny bald die beliebteste Hündin in ihrer Gegend des Regenbogenlandes. Gemeinsam mit Bimbo durchstreifte sie die grünen Wiesen und Wälder, badete in Seen und trocknete sich im Sand und der immer scheinenden Sommersonne. Es war nie zu kalt und nie zu warm. Es regnete zwar auch manchmal, aber irgendwie war es hier einfach perfekt. Wenn mal ein Hund Sehnsucht nach seinem Frauchen oder Herrchen hatte, konnte er einfach auf die Traumwolke sitzen und die so sehr vermissten Menschen im Traum besuchen.
Eines Tages kam ein Neuankömmling, der Jenny schwer erschütterte. Der Hund, dem sie ihren Tod zu verdanken hatte, kam auch hierher. In ihre Gegend! Jenny wurde wütend. „Bimbo! Wie kann dieser Mörder hierher kommen? In unsere Gegend! Warum darf der überhaupt ins Regenbogenland?“ „Jenny, jeder Hund kommt ins Regenbogenland. Es tut mir leid, dass er dich umgebracht hat, aber hier ist alles vergeben und vergessen. Vergiß das nicht.“ Bimbo sah nachdenklich zu dem Neuen. „Du musst ja nicht mit ihm reden. Ich gehe zu ihm und führe ihn in Teds Gegend. Okay? Warte hier auf mich.“ Bimbo ging zu dem Hund rüber, während Jenny sich tief ins Gras duckte. Sie hatte Angst. Was war, wenn er sie hier auch angriff oder wenn er Bimbo angriff und verletzte oder tötete? Bimbo war ihr Freund! Jenny sprang auf und rannte hin. Bimbo seufzte, als er Jenny mit fliegenden Ohren angerannt kommen sah. Der neue Hund drückte sich schüchtern auf den Boden. Jenny stellte sich herausfordernd auf. „Erkennst du mich?“ Der Hund schüttelte den Kopf.“Du hast mich meinem Frauchen gestohlen! Du hast mich umgebracht! Ich hab zwei Wochen um mein Leben gekämpft, aber ich bin grausam gestorben. Warum hast du das getan?“ Der Hund winselte auf und wich zurück. „Es tut mir leid. Ich weiß auch nicht warum ich das getan habe. Ich habe das Gebiet als mein Revier angesehen, aber es war nicht meins, sondern eher deins. Ich wollte dich nicht töten. Es tut mir so leid.“ Jenny sah ihn verwundert an. „Na okay, ich nehme die Entschuldigung an, aber geh in ein anderes Gebiet. Ich will dich hier nicht sehen. Hier ist alles schön und friedlich und du… Bitte geh.“ Jenny drehte sich um und stupste Bimbo an. „Komm, wir gehen zum See.“ Bimbo folgte Jenny, während der andere Hund von zwei anderen zu Ted geführt wurde. Dort traf er nie auf Jenny und die beiden konnten sich aus dem Weg gehen. Nach wenigen Tagen hatte Jenny den Vorfall fast vergessen. Sie hatte anfangs gegrübelt, ob sie einen Fehler gemacht hatte, dass sie ihrer Wut nachgegeben hatte, aber so war es wohl am besten. Bimbo hatte sie auch darin bestätigt, dass sie sich gut gehalten hatte und ruhig und besonnen reagiert hatte. Er war stolz auf sie, dass sie den anderen Hund nur fort geschickt hatte. Jenny lebte glücklich mit ihren vielen Freunden im Regenbogenland und wußte immer, dass ihr Frauchen sie irgendwann holen würde.
Jenny spielte grade mit ihren Freunden, als sie plötzlich einen kleinen Neuankömmling sah. Er saß am See und bestaunte sich im Spiegelbild. Er hatte volles rot-weißes Fell, eine klitzekleine Stupsnase und große dunkle Augen. Seine Flatterohren waren mit lockigem Fell bedeckt und er sah sich nur an, während er den Kopf mal nach rechts mal nach links drehte. Jenny trabte näher, der Kleine zuckte zusammen. „Hallo! Ich bin Jenny. Du bist neu, stimmt‘s?“ Der Neue war ein bisschen kleiner als Jenny und sah sie ängstlich an. „Wo bin ich hier? Warum habe ich so viel Fell? Ich war fast kahl… es juckt auch nirgends oder tut weh… Was ist passiert?“ Jenny sah ihn mitfühlend an: „Du bist gestorben… Es tut mir leid.“ Sie stupste ihn sacht mit der Schnauze an. „Wenn du dich aber erst dran gewöhnt hast, ist es ganz toll. Du hast hier keine Schmerzen, keine Allergien, keine Sorgen – außer… dein Frauchen oder Herrchen ist nicht hier. Aber sie kommen nach! Ganz sicher. Ich hab das schon oft beobachtet. Wie heißt du denn?“ „Ich heiße Feldmann. Naja, eigentlich Janosh, aber jeder nennt mich Feldmann, Feldimän oder Feldi…“ Jenny sah ihn belustigt an. „Und wie soll ich dich nennen?“ „Äh… Feldi?“ „Okay, komm mit – wir spielen Fangen.“ Jenny stupste ihn nochmal an, dass er fast in den See purzelte und flitzte los. Feldi ihr dicht auf den Fersen. Jenny erklärte ihm nach und nach, wie das Leben hier ablief und Feldi wurde ihr Freund. Sie begleitete ihn nachts zur Traumwolke und zeigte ihm, wie er sein Frauchen im Traum besuchen konnte. Feldi war an ihrer Seite als Bimbo von seinem Frauchen abgeholt wurde und sie verließ. Die beiden wurden unzertrennlich und erlebten viele schöne Stunden miteinander.
Einer der Neuankömmlinge beobachtete Jenny oft. Er war ein ganz wilder Feger, aber in ihrer Nähe war er immer schüchtern. Sie wunderte sich zwar, konnte es sich aber nicht erklären. Er war freundlich und lieb und spielte mit allen. Zu Jenny war er besonders lieb, aber irgendwie ängstlich. Er versuchte ihr immer ein bisschen aus dem Weg zu gehen mit Feldi dagegen spielte er ausgelassen und war ganz außer sich vor Begeisterung ihn hier zu treffen. Feldi lachte, als Jenny ihn eines Tages danach fragte. „Hast du ihn denn nicht erkannt? Er ist Rocky! Dein Nachfolger. Keine Angst. Er wird schon noch auftauen.“ Jenny tat Rocky den Gefallen und bedrängte ihn nicht. Aber Rocky hielt immer Abstand und war weiterhin lieb und zuvorkommend. Obwohl Rocky Feldis Nähe suchte, hatte er immer Scheu mit Jenny zu spielen.
Eines Tages, als Jenny grade mit Feldi Fangen spielte, hörte sie eine Stimme, die sie schon lange nicht mehr gehört hatte. „Jenny! Jenny, mein Engel! Wo bist du?“ Mit fliegenden Ohren rannte Jenny auf ihr Frauchen zu und warf sich ihr in die Arme. Ihr Frauchen sah genauso aus, wie Jenny sie in Erinnerung gehabt hatte. „Oh, mein Schatz! Was hab ich dich vermisst.“ Jennys Frauchen drückte sie fest an sich und wollte sie gar nicht mehr loslassen. „Komm, wir holen Rocky ab. Ich hoffe, ihr zwei versteht euch.“ Jenny lief erwartungsvoll mit ihrem Frauchen mit. Plötzlich drehte sie sich um und lief zu Feldi. Die beiden sahen sich an und wussten, so musste es sein. Jenny leckte Feldi schnell über die Schnauze und sagte ihm Lebwohl. Dann drehte sie sich um und rannte zu ihrem Frauchen zurück. Sie sah Rocky auf ihr Frauchen zu rennen. Er stürzte sich genauso begeistert ihn Frauchens Arme, wie sie zuvor. Kurz spürte sie den Stich der Eifersucht, aber ihr Frauchen zog Jenny auch ihn die Arme und drückte und knuddelte sie beide. „Was hab ich euch vermisst. Kommt, jetzt bleiben wir immer zusammen.“ Sie stand auf und zu dritt gingen sie einen Regenbogen höher. Hier stand ein hübsches kleines Häuschen, das nur für sie war. Jenny und Rocky freundeten sich schnell an. Rocky hatte Jenny schon oft gesehen, aber so wild und vorwitzig er sonst auch war. Jenny war für ihn immer etwas besonderes gewesen. Sein Frauchen hatte oft von ihr gesprochen und sie immer als einen Engel bezeichnet. Er hatte ein bisschen Angst vor ihr gehabt. Aber jetzt wußte Rocky, Jenny war einfach toll. Alle drei lebten glücklich und zufrieden in ihrem kleinen Häuschen im Regenbogenland.